Rede des Botanikers Dr. Martin Nebel (Naturkundemuseum Stuttgart) am 24.4.2010 im Mittleren Schlossgarten

Warum brauchen wir Bäume in der Stadt? Das Stadtklima hier in Stuttgart und in anderen Großstädten ist deutlich wärmer als die Umgebung - an Strahlungstagen bis zu 6 Grad wärmer. Die Luft in der Stadt ist trockener. Das ist nicht gut für unsere Bronchien, unsere Gesundheit.
Sie enthält mehr Feinstaub und Lärm belastet uns.
Der Klimawandel, der jetzt in diesem Zusammenhang fast nicht genannt wird, wird dies alles noch verstärken.
Jetzt sag' ich Ihnen, was ein hundertjähriger Baum für uns leistet, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Dieser Baum hat eine Blattfläche von 650.000 Blättern, das sind 1.500 m2.
Mit diesen Blättern produziert er bis zu 10.000 Liter Sauerstoff am Tag. Das ist der Gehalt von 50.000 Liter Luft. Er verdunstet 400 Liter und macht damit die Luft kühler und angenehmer.
Und - ganz wichtig - das merken Sie jedes Mal, wenn Sie in den Park gehen: im Baumbereich ist eine Abkühlung um drei Grad, an einem heißen Sommertag kann dies lebensrettend sein.
Und außerdem bindet so ein Baum noch
eine Tonne Feinstaub, davon haben wir in Stuttgart gerade hier in der Ecke sowieso schon genug. Sie sehen wie wichtig ein einziger Baum ist.
Und hier sollen nun 289 Bäume gefällt werden in diesem kleinen Bereich, wo so viel Leben ist.
Wenn wir die Leistung, die 289 alte Bäume für uns bringen, durch junge Bäume, durch Neupflanzungen ersetzen wollen, dann müssten wir 30.000 neue Bäume pflanzen - 30.000 neue Bäume, die dann dieselbe Leistung erbringen, wenn sie angewachsen sind, wie die alten. Das ist eine Zahl. Das andere ist: Stuttgart, hier im Kessel ist ausgesprochen Grünflächen arm. Wir dürfen nicht die Wälder und Weinberge in der Umgebung betrachten, sondern Stuttgart selber ist sehr arm an Grünfläche. Im Schnitt kommen 9 m2 Grünfläche, das heißt da sind auch die ganzen Sportflächen, Kinderspielplätze, Kleingärten usw. dabei - 9 m2 pro Einwohner hier in Stuttgart. Das hat der Gemeinderat in seinem kommunalen Umweltbericht festgestellt, dass das zu wenig ist. Wir brauchen die Fläche, die Hamburg hat, das sind 40 m2.
Das ist gut, dass dies der Stuttgarter Gemeinderat festgestellt hat. Bloß, was passiert konkret? Im Bereich um den Park herum sollen im Zuge von Stuttgart 21 8.000 neue Wohnungen entstehen für rund 18.000 Einwohner. Wenn Sie diese 18.000 Einwohner mal 40 nehmen, dann kommen sie auf 720.000 m2, das sind 72 ha. Und die Politiker verkaufen uns eine Erweiterung um 20 ha als Fortschritt, dabei ist es ein Defizit von 52 ha, die wir allein brauchen, damit die Leute hier sich erholen können in der direkten Umgebung des Bahnhofs.
Ich wünsche uns in Zukunft Planungen, die alte Bäume als unverzichtbares Element unserer Stadtkultur und unseres Lebens in der Stadt einbeziehen und viel Platz für neue Bäume schaffen, die wir brauchen um dem Klimawandel entgegen wirken zu können. Und ich wünsche mir - auch als Naturschutzbeauftragter - keine Planungen mehr, wozu erst einmal die Motorsäge kreischt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.