ANMERKUNGEN ZU STUTTGART 21
Die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 drehen sich seit 1994 fast ausschließlich um quantitative Aspekte, um Fakten. Primär, wie kann es in unserer Gesellschaft anders sein, um die Kosten, die von der Bahn den Projektpartnern, der Öffentlichkeit, den Bürgerinnen und Bürgern seit Beginn des Projekts viel zu niedrig, “politisch motiviert, geschönt“ angegeben wurden. Diskutiert werden nur weitere quantitative Aspekte wie Termine, Leistungsfähigkeit, Fluchtmöglichkeit, Brandschutz, Quer-/sonstiges Gefälle, Grund- und Mineralwasser, Betriebs- und Sicherheitsprobleme, Barrierefreiheit, Fahrtzeitverkürzung, Machbarkeit. Die Auseinandersetzungen hierüber werden logischerweise Faktencheck, Stresstest bezeichnet.

Um der Sache willen hätten sich die Diskussionen und Auseinandersetzungen jedoch von Anfang an nicht, mindestens nicht primär, nur um diese quantitativen Sachverhalte/Aspekte drehen/handeln dürfen. Die qualitativen Werte/Aspekte hätten im Vordergrund stehen müssen, denn der Patient ist die Stadt und ihre Menschen. Über den Gesamtorganismus Stadt fand nie eine Grundsatz-Diskussion statt, die Stadt existiert bei Befürwortern und Gegnern nicht.
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Einspruch Herr Ostertag! Für mich als Gegner war immer der Hauptgrund die Lebensqualität am Beispiel des stadtprägenden Bonatzbahnhofs und des historischen Schlossgartens, dazu die optische Stadtvernichtung für die Bahnreisenden, wie es die Hölderlin-Parodie von MetropoliS21 von 2008 beklagt. Auch das Mineralwasser ist ein vorwiegend qualitativer Aspekt.
So empfinden es viele „Gegner“, die bis heute hartnäckig protestieren und demonstrieren.

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Jahrzehntausende benötigte die Natur für die Ausräumung und Bildung dieser Landschaftsschüssel, ihrer Öffnung, durch die die geistige und klimatische Be- und Entlüftung der Stadt stattfindet, die Welt in die Stuttgarter Welt herein geholt wird. Was in Tausenden von Jahren geworden ist, soll nun in wenigen Jahren zerstört werden.

Stuttgart würde mit der Realisierung von S-21 eine vierte Zerstörung erleben. Durch die diesem Projekt zugrunde liegende Funktionalismusideologie, die nur quantitative Aspekte kennt, den Fortschritt nach Minuten zählt, die Stadt als funktionierende Maschine, die Menschen als abzufertigende, als zu befördernde Ware betrachtet, wird das begehbare, das historische Gedächtnis der Stadt missachtet und zerstört. Es würde eine ortlose, unterirdische, entleerte, geschichts- und gesichtslose, entzauberte Welt entstehen, ihren kulturellen, ihren Stuttgart-spezifischen Wert und Charakter verlieren. Mit den Orten wird den Menschen das Gedächtnis, ihre Erinnerung, ihre Geschichte, ihre Heimat, ihr Zuhause geraubt. Selbstzerstörung, städtebaulicher, kultureller Kannibalismus.

Es gibt ein Bürgerrecht auf Geschichte. Ein gigantischer, nicht wieder gut zu machender Schwabenstreich, den sich eindimensionale Politiker, Planer und Techniker des Bundes, der Bahn, des Landes, der Stadt ausgedacht haben.

Warum wehren sich die Verantwortlichen, auf Seiten der Befürworter und Gegner nicht vehement dagegen? Sind es die gesellschaftlichen Verhältnisse? Offensichtlich sind Befürworter und Gegner gleichermaßen Teil davon.
Roland Ostertag, 27.02.2013

MetropoliS21
(Parodie nach Hölderlin)

Ihr wandelt droben im Licht,
Auf Halbhöhenlagen,
Stadtplaner, Aktionäre, Investoren!
Frisch umsäuseln euch Lüfte leicht,
In Doppelgaragen Mercedes und Smart.

Doch uns ist gegeben
An keiner Stätte zu ruhn,
Es fahren tief unten die einfachen Menschen
Wie Rohrpost von Bahnhof zu Bahnhof geworfen,
atmen Tunnelluft in tiefer Station.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es unten ist, die Aussicht, und wo
Den Sonnenschein?
Betonwände stehn
Sprachlos und kalt.
Mein Stuttgart - wohin denn du?
(2008)