Zum 30. 9. 2020 in Stuttgart

Am 30. September 2020 jährt sich zum zehnten Male ein Tiefpunkt der bundesdeutschen Demokratie-Geschichte: In Stuttgart wurde eine friedliche Demonstration gegen das monströse Groß­projekt „Stuttgart 21“ mit Wasserwerfern und brutaler Polizeigewalt auseinander getrieben. Dabei gab es Hunderte Verletzte und mehrere Schwerverletzte. Einige von ihnen leiden noch heute unter den Folgen dieses von höchster Stelle befohlenen und befürworteten Einsatzes.
In der Folge wurde eine „Schlichtung“ abgehalten, die mit einem den Verlauf konterkarie­renden „Schlichterspruch“ zugunsten des Projekts (wenngleich mit – nie erfüllten - Auflagen) endete. 2011 wurde die baden-württembergische Landesregierung abgewählt; es gab einen spektakulären Regierungswechsel mit einem ersten grünen Ministerpräsidenten. Zwei Jahre später verlor die CDU auch in der Landeshauptstadt die OB-Position an die Grünen. Obwohl nun seit 2013 die Spitzenpositionen von Vertretern der ursprünglichen Anti-S21-Partei besetzt sind, konnte das Projekt fortgesetzt werden. Als Begründung dafür wird bis heute die Volks­abstimmung vom November 2011 angeführt, die allerdings auf massi­ven Fehlinformationen (z.B. bezüglich der Bahnhofs-Kapazität und der Kosten) beruht hatte.
Danach gab es immer wieder Kosten­erhöhungen, Falschinformationen beim sogenannten „Stresstest“ wurden aufgedeckt und die massiven Risiken durch Schräglage der Bahnsteige, beim Brandschutz sowie geologischer Art konnten bis heute nicht ausgeräumt werden. Zahlreiche Gelegenheiten und Möglichkeiten, angesichts dieser Probleme Schaden für den Bahnhof, die Fahr­gäste und die Stadt durch einen rechtzeitigen Ausstieg abzuwen­den, wurden von den Verantwortlichen nicht wahrgenommen. Im Gegenteil: 2013 erklärte die Bundeskanzle­rin Stuttgart 21 zu einem Projekt, an dem sich die Zukunftsfähigkeit Deutsch­lands erweisen solle.
Inzwischen sind Teile der Tunnelstrecken und des Tiefbahnhofs im Rohbau errichtet und die prognostizierten Kosten von 2,6 Mrd. Euro (1995) auf offiziell 8,2 Mrd. gestiegen. Ein Ende der Bauarbeiten und Kostenerhöhungen ist nicht abzusehen. Weitere Tunnel von 20 km Länge oder mehr sollen die schlimmsten Mängel (mit noch unbekannten Mehrkosten) abmildern. Dabei erbrachte die Deutschlandtakt-Initiative von Bund und Bahn mit ihren Zielfahrplänen erneut den Beweis: Der S21-Bahnhof ist für einen Integralen Taktfahrplan viel zu eng dimensio­niert und ungeeignet.
Heute hat die Realität das schon 2010 befürchtete Desaster nicht nur eingeholt, sondern in Vielem bereits übertroffen. Die weiter ungelösten Probleme, ständig neu hinzu­kommenden Anforderungen zur Kaschierung der elementaren Planungsfehler und die ins Unermessliche wachsenden Bau- und Betriebskosten lassen nur einen Schluss zu: Besser ein sofortiges Ende mit einem ehrenvollen Umstieg als ein Schrecken und eine Bahn-Wüste Stuttgart ohne Ende!
Das Bündnis „Bahn für Alle“ und die Bahn-Experten von „Bürgerbahn statt Börsenbahn“ fordern angesichts des 10-jährigen Fiaskos zusammen mit dem Stuttgarter Aktionsbündnis einen sofortigen Baustopp und einen geordneten „UMSTIEG 21“ mit einem leistungsfähigen Kopfbahnhof und einem zukunftsweisenden Schnellbahnsystem in und um Stuttgart.
Die Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) ist Mitglied im Bündnis Bahn für Alle.
Mitglieder bei BsB sind: Michael Bienick / Prof. Karl-Dieter Bodack / Thilo Böhmer / Dr. Christoph Engelhardt / Klaus Gietinger / Eberhard Happe / Joachim Holstein / Johannes Hauber / Prof. Wolfgang Hesse / Andreas Kegreiß / Andreas Kleber / Dr. Bernhard Knierim / Karl-Heinz Ludewig / Thomas Kraft / Prof. Heiner Monheim / Dr. Winfried Wolf