An den DB Aufsichtsrat Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht Potsdamer Platz 2 10785 Berlin
 
Sehr geehrter Herr Prof. Felcht,
  am 26.01.2018 wird der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG über das weitere Schicksal von „Stuttgart 21“ entscheiden. Ich hoffe, dass Sie und die anderen Aufsichtsratsmitglieder den Mut haben, eine sachlich richtige Entscheidung zu treffen und diese Entscheidung nicht wieder vertagen, wie es in den letzten beiden Jahren leider schon fast zur Gewohnheit wurde.
Der Vorstand der DB AG hat es in wechselnder Besetzung seit 1994 immer wieder geschafft, den Aufsichtsrat (ebenfalls in wechselnder Besetzung) und die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen.
So sollte das Projekt, das übrigens im Mai 1995 auf der Immobilienmesse MIPIM als Immobilienprojekt (nicht als Bahnprojekt!!!) vorgestellt wurde, am Anfang aus den Erlösen der Verkäufe der bahneigenen Grundstücke finanziert werden. Wenig später kostete es dann doch 2,3 Mrd. €, dann 4,5 Mrd., dann 6,8 Mrd. und nun gar 7,9 Mrd. €. Und immer hat der Aufsichtsrat diese Kostensteigerungen durchgewunken. Dabei hat der Vorstand der DB bei jeder Kostenexplosion vollmundig verkündet: „Teurer wird es jetzt aber wirklich nicht mehr!“ Aber warum sollten Sie und auch die Steuerzahler ausgerechnet jetzt der Bahn Glauben schenken, nachdem wir alle schon so oft belogen wurden?
Das Verkehrsplanungsbüro Vieregg und Rößler (München), der Bundesrechnungshof, der Bahnhofsarchitekt Ingenhoven und selbst die diversen Gutachter der Bahn gehen übereinstimmend von ca. 10 Mrd. € Baukosten aus. Die Bahn selbst rechnet übrigens in ihren eigenen Unterlagen mit bis zu 12 Mrd. €. Und nun sollen Sie mit diesem Kenntnisstand die offiziell zugegebenen 7,9 Mrd. € bewilligen. Wollen Sie das wirklich tun? Ex-Bahnchef Dr. Rüdiger Grube hat vor der Volksabstimmung in Baden-Württemberg gesagt, dass „Stuttgart 21“ bei Baukosten von mehr als 4,5 Mrd. € unwirtschaftlich sei und nicht weitergebaut werden dürfe. Inzwischen wurde fast das Doppelte erreicht und der Aufsichtsrat findet das anscheinend normal. Dabei geht es ja nicht nur um Baukosten, sondern auch um die Summen, die der Betrieb und die Instandhaltung dieser schrägen Tiefhaltestelle verschlingen werden.
Aber es geht ja nicht nur um Geld. Bis vor wenigen Tagen hielt die Bahn eisern und fast schon verzweifelt an ihrem Fertigstellungstermin 2021 fest. Nun heißt es auf einmal, dass erst 2024 die ersten Züge rollen sollen. Dabei vergibt die Bahn aber schon Bauaufträge für 2026. Nun erklären Sie mir doch bitte, wie das gehen soll, dass man 2026 das baut, was 2024 fertig sein soll! Aber davon ganz abgesehen bedeutet Bauzeitverlängerung auch immer eine Erhöhung der Kosten, die Sie dann auch wieder durchwinken sollen.
Übrigens schrieb die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG folgende Zeilen: „Am 26. Januar tagt der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn und dürfte sich, wenn kein Geistesblitz vom Himmel fällt, wieder weigern, die Notbremse zu ziehen und den Bau des Tiefbahnhofs zu stoppen.“ Die der CDU nahestehenden STUTTGARTER NACHRICHTEN berichteten am 09.01.2018, dass die Bahn Probleme habe, bei „S 21“ die versprochene Durchbindung der Züge zu verwirklichen. Deshalb müsse der künftige Durchgangsbahnhof wie ein Kopfbahnhof betrieben werden. Übrigens kann man auch in Kopfbahnhöfen sehr gut Züge durchbinden (siehe Leipzig, Frankfurt). Selbst in Stuttgart gab es bis vor Kurzem durchgehende Züge von Ulm über Stuttgart (Hbf.) nach Mosbach-Neckareltz.
Ein weiteres Thema der letzten Tage war die Anbindung des Flughafens an das Fernverkehrsnetz. Da war zu erfahren, dass die DB nur 6 (in Worten SECHS) IC-Züge am Flughafen halten lassen wollte, 3 in jede Richtung. ICE-Halte waren überhaupt nicht mehr vorgesehen. Dabei hatte die Bahn bei den Verhandlungen zur Finanzierung mehr als 100 Fernzüge versprochen! Und dafür baut man dann 27 Meter unter der Erde einen Bahnhof für ca. eine Milliarde Euro und lässt ein Drittel der Kosten den Flughafen bezahlen. Inzwischen ruderte die Bahn ja zurück und verspricht nun 14 Zughalte. Das sind aber trotzdem noch lange keine 100! Wo übrigens der Flughafenbahnhof gebaut werden soll, ist auch noch unklar.
Schlimm finde ich nur, dass das alles eigentlich längst bekannt war. Die Gegner von „Stuttgart 21“ haben dieses Desaster längst erkannt und publik gemacht. Ingenieure, Architekten und Juristen kritisieren von Anfang an die mangelnde Leistungsfähigkeit, die unendlichen Kostensteigerungen und die fehlende Sicherheit (Brandschutz und unzulässige Gleisneigung von 15 Promille) des „Jahrhundertbauwerks“, mit dem sich laut Bundeskanzlerin Merkel die Zukunftsfähigkeit Deutschlands entscheiden soll.
Erschreckend ist jedoch, dass mittlerweile sogar die STUTTGARTER NACHRICHTEN im Zusammenhang mit „Stuttgart 21“ am 11.01.2018 von guten Kontakten zur Mafia berichtet. So verwundert es nicht, dass der schon im Herbst verhaftete Mafia-Boss Salvatore Rinzivillo sein Auge auf „Stuttgart 21“ geworfen hat. Angeblich wollen mutmaßliche Clan-Mitglieder im geplanten S-21-Projekt „Rosensteinviertel“ sieben Häuser bauen. Aber auch das ist dem Aufsichtsrat der DB anscheinend nicht bekannt, oder es wird stillschweigend geduldet.
Nun möchte ich nochmals auf das seltsame Verständnis von Wahrheit und Transparenz bei der Deutschen Bahn eingehen:
Vom 05. bis 07. Januar 2018 organisierten die DB und ihre Auftragnehmer „Tage der offenen Baustelle“. Ich nahm das Angebot an, um mich über den Baufortschritt, aber auch die Probleme beim Bau zu informieren. Die erste Panne leisteten sich die Vertreter der DB am Verzweigungsbauwerk Kriegsbergstraße. Dort versicherte eine Ingenieurin, dass der Tunnel in Richtung Feuerbach bereits im letzten Herbst durchbrochen worden sei. Wenig später erklärte ein Kollege von ihr, dass noch 170 Meter fehlen würden.
Zu den Themen „Leistung“ und „Finanzierung“, die im Werbeflyer der Bahn angepriesen wurden, konnten die anwesenden Mitarbeiter kaum etwas sagen. Beim Thema Leistungsfähigkeit kam wieder das längst von der DB selbst widerlegte Märchen von 49 Zügen in der Spitzenstunde auf den Tisch. Auf meine Frage nach dem Notfallkonzept der S-Bahn, die mittlerweile mehrmals wöchentlich wegen diverser Weichen- und Signalstörungen ausfällt, bekam ich zur Antwort, dass die S-Bahnen bei Störungen ebenfalls durch den Tiefbahnhof und den Fildertunnel zum Flughafen fahren würden. Ich fragte dann, was denn bei einer Weichenstörung im Tiefbahnhof passieren würde, die ja den Ausfall von 2 Gleisen und damit einem Viertel des Bahnhofs zur Folge hätte.
Auch das sei nach Angaben der Verkehrsexperten der DB kein Problem. Auch dann könnten immer noch alle Züge auf den übrigen 6 Gleisen verkehren. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Es geht um 49 Fern- und Regionalzüge und 12 S-Bahnen je Richtung. Insgesamt könnten dann laut diesen Angaben 73 Züge pro Stunde abgefertigt werden. Da wurden selbst die größten S21-Fanatiker misstrauisch.
Zur Finanzierung hatte man diverse Diagramme gezeichnet, die noch von 6,8 Mrd. € ausgingen. Teilweise waren sogar noch 4,5 Mrd. € zu lesen. Aktuelle Zahlen habe man nicht, hieß es.
An einer weiteren Station fragte ich nach den Wasservorkommen im Cannstatter Tunnel im Anhydrit-Bereich. Zunächst war die Antwort: „Da gibt es kein Wasser.“ Ich zitierte dann das Gutachten von KPMG und Basler. Auch da gab sich der Mann verschlossen. „Das ist doch geheim!“ knirschte er. Auf meinen Hinweis, dass dieses Gutachten mittlerweile im Internet nachlesbar sei, gab er dann zu, dass es geringe Mengen Wasser in diesem Bereich gegeben habe, die aber keine Auswirkungen hätten. Soweit mir bekannt ist, hat aber jeder Kontakt von Wasser mit Anhydrit Auswirkungen.
Dass die Projektverantwortlichen auch Probleme mit den Kelchstützen haben und wegen des weichen, sumpfigen Untergrundes mit Senkungen der einzelnen Kelche rechnen, möchte ich nur am Rande erwähnen.
Beeindruckend fand ich auch eine mobile Toilettenanlage, die die Bahn eigens für die Aktion „offene Baustelle“ errichtet hatte und die schon am zweiten Tag wegen eines Defektes gesperrt werden musste. Da will man für viele Milliarden Euro einen Bahnhof der Superlative bauen und scheitert schon am Betrieb einer Toilette.
Nun aber zurück zu der Aufsichtsratssitzung am 26. Januar. Natürlich kann ich nur vermuten, was der Aufsichtsrat beschließt. Sollten die Mitglieder endlich erkennen, dass „Stuttgart 21“ ein Fehler ist und den Bau stoppen, wäre das sehr erfreulich und vor allem vernünftig. Ich befürchte jedoch, dass den verlorenen Milliarden weitere Milliarden hinterher geworfen werden. Dass sich die Aufsichtsratsmitglieder mit einer Bewilligung der Baukosten von jetzt 7,9 Mrd. € wegen der Veruntreuung von Steuergeldern strafbar machen, haben Ihnen die Juristen der K21-Bewegung ja bereits mehrfach verdeutlicht. Wollen Sie sich wirklich für dieses Projekt, dessen Fehler und Unzulänglichkeiten jetzt fast täglich durch die Presse gehen, strafbar machen? Die Bürger unseres Bundeslandes und viele Bahnkunden sind gespannt auf Ihre Entscheidung.
Beenden möchte ich mein Schreiben mit einem schwäbischen Satz, den Sie bei der Entscheidung am 26. Januar beherzigen sollten:
„Herr, schmeiß Hirn ra!“ Da ich zwar in Stuttgart wohne, jedoch kein Schwabe bin, möchte ich den Satz lieber so formulieren: Herr, gib den Menschen Klugheit und Weisheit und den Mut, dazu zu stehen.
  Mit freundlichen Grüßen,
Peter Müller
  PS.: Falls Sie noch Fragen haben sollten, so sind am Morgen des 26. Januar ab 8 Uhr genügend Fachleute (Ingenieure, Architekten und natürlich auch Juristen) vor dem Bahn-Tower anzutreffen, die Ihnen diese Fragen gern und sachkundig beantworten können.