Gast-Memory
em. Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischer
Baumreute 41
70199 STUTTGART
An den 27.05.2014
Projektsprecher Wolfgang Dietrich
Kommunikationsbüro
Bahnprojekt Stuttgart–Ulm
Jägerstraße 2
70174 Stuttgart
Projektmagazin „Bezug“ (Offener Brief)
Sehr geehrter Herr Dietrich,
im neuen Projektmagazin mit dem Titel „Bezug“ (Herausgeber: Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V.), schreiben Sie in Ihrem Vorwort am Schluss:
..................“möge die neue Ausgabe des Projektmagazins ein Beitrag zur Diskussion und Information sein.“ Als Gegner von Stuttgart 21 hat mich in diesem Magazin der Artikel mit folgender Überschrift interessiert:
„Wie Kommunalpolitiker vor der Wahl über S21 denken - und was Manfred Rommel einst gesagt hat“. Von Chancen und Risiken
In diesem Artikel werden zuerst die Antworten von einigen Stadträten wiedergegeben, denen folgende Frage gestellt worden war: „Sie haben drei Sätze, um einen Gegner von Stuttgart 21 zu überzeugen.“ Die gleiche Frage wurde im Jahr 2007/8 in einem fiktiven Interview mit Herrn Alt-OB Manfred Rommel als erste Frage gestellt. Dort folgten dann allerdings noch weitere Fragen an ihn. Dieses Interview erschien damals als Zeitungsanzeige, die heute im oben genannten Projektmagazin wieder hervor geholt wurde. Herrn Rommels Argumente sollten damals ebenfalls Gegner von S21 zu Befürwortern machen. Nun sind seit Herrn Rommels Interview bereits sechs Jahre ins Land gegangen.
Die heutigen Antworten der gefragten Stadträte sind sehr unterschiedlich. Herr Kotz (CDU) und Herr Körner (SPD) greifen nur Teilaspekte auf, Herr Klingler (FDP) und Herr Zeeb (Freie Wähler) wiederholen altbekannte Behauptungen. Einige ihrer Hinweise sind auch schwer einzuordnen z.B, dass „viel Raum für zentrumsnahes Wohnen“ oder „zusätzliche Parkflächen“ geschaffen werden. Hier fehlen genauere Angaben und Größenordnungen, um einen bezogenen Nutzen erkennen zu können. Aus der Art der Formulierungen in diesen Beiträgen erkennt man, dass sich diese Befürworter bei der Beantwortung der gestellten Frage eher in einer Verteidigungsstellung befinden. Eine überzeugende Rechtfertigung für das Projekt S21 fand ich in allen diesen Beiträgen nicht. Auch Peter Pätzold (Grüne), fand, selbst nach langem Nachdenken, kein Argument, das für Stuttgart 21 spricht. Die Gegner von Stuttgart 21 werden durch die Argumente in diesen Antworten wohl kaum zu Befürwortern werden. Deshalb nehme ich auch an, dass sich das Informationsbüro mit diesem Artikel im Projektmagazin gar nicht an die Gegner, sondern eher an Unbedarfte wendet, um diese Unbedarften auf die Seite der Befürworter zu ziehen. Für das Durchsetzen von Interessen benötigt man ja bekanntlich eine Mehrheit. Ob diese Mehrheit ausreichend und richtig informiert wurde, spielt dabei für jene Personen, die die Mehrheit beschaffen wollen oder müssen, je nach ihrem Charakter, eine große bis hin zu einer geringen Rolle.
Herr Alt-OB Rommel hatte damals in seinen Antworten das Projekt S21 uneingeschränkt befürwortet. Nun wissen aber besonders wir Gegner, die wir uns eingehend mit diesem Projekt beschäftigt haben und immer noch beschäftigen, dass sich in der sechsjährigen Zwischenzeit vom Jahr 2008 bis heute, viele Behauptungen bezüglich der technischen und wirtschaftlichen Fakten als falsch oder gar als gefälscht herausgestellt haben. (Es gibt dazu Zusammenstellungen z.B. im Blog von Siegfried Busch). Ich spreche hier einmal nur zwei alte Behauptung an, nämlich dass das Projekt Stuttgart 21 „das am besten geplante Projekt“ sei und dass die Leistung des Tiefbahnhofs „doppelt so groß“ wäre, wie jene des Kopfbahnhofs. Im alten Interview von 2008 sagte Herr Rommel folgende drei Sätze: „Kein Investitionsvorhaben ist bis ins Detail hinein sorgfältiger geprüft und nachhaltiger mit der Bürgerschaft erörtert worden als Stuttgart 21. Dafür stand wegen des langen Weges zur Einigung über die Finanzierung genügend Zeit zur Verfügung. Fazit:Der Stadt Bestes wurde gefunden.“
Auf die damals gestellte Frage an Herrn Rommel: „Und jetzt wird die Beste aller Varianten umgesetzt?“, sagte er:
„Dieser [Durchgangsbahnhof, d.A.] hat im Vergleich mit dem Gleiswirrwar des gegenwärtigen Kopfbahnhofs deutliche Vorteile. Vor allem die etwa doppelte Leistungsfähigkeit, welche die Experten immer wieder geprüft und bestätigt haben, wenn Kritik geübt wurde.“
Während nun die Aussage von Herrn Rommel zur Leistung des Kopfbahnhofes auch jetzt wieder im Interviewtext des Projektmagazins zu finden ist, fehlen dort die drei Sätze ganz, in denen er sich zur sorgfältigen Planung und Prüfung des Projektes äußerte. Unter Anderem fehlt auch noch eine weitere Passage in der Wiedergabe des Interviews im Projektmagazin. Im Absatz zur Ökologie des Projektes steht heute nur geschrieben: „Stuttgart 21 ermöglicht dies [gemeint sind ein gut ausgebautes Schienennetz und ein gut ausgebauter Nahverkehr, d.A.] und mindert damit die Verkehrsbelastung.“ Im Original geht aber der Satz nach dem Wort „Verkehrsbelastung noch weiter, nämlich „mit all seinen Nebenwirkungen wie CO2-Belastung, Lärm und Staus.“ Offensichtlich wollte das Kommunikationsbüro auch diese Begriffe nicht so gerne nennen, denn die könnten ja die Frage provozieren: „Und wie sieht es beim Projekt S21 in der langen, langen Bauzeit mit CO2-Belastungen, Lärm und Staus aus?“
Ich halte es für falsch, dass das Informationsbüro in diesem Projektmagazin Herrn Rommels Befürwortung des Projektes abdruckte, ohne darauf zu verweisen, dass sich Fakten geändert haben (Leistungen, Kosten, Risiken, neue Erkenntnisse u.s.w.). Es wird vielmehr so getan, als wären die früheren Darstellungen alle noch gültig. Unbedarfte werden auf diese Weise manipuliert. Wenn man aber schon ein veraltetes Interview „zitiert“, dann ist es nach meiner Auffassung geradezu unredlich, Teile zu ändern oder gar wegzulassen! Besonders am Weglassen des Abschnitts, in dem es heißt (siehe oben): „Kein Investitionsvorhaben ist bis ins Detail hinein sorgfältiger geprüft und nachhaltiger mit der Bürgerschaft erörtert worden als Stuttgart 21....... „ erkennt man die Absicht, diese alte Falschaussage unter den Teppich kehren zu wollen. Mit der Aufnahme dieses veralteten und auch noch beschnittenen Interviews in das neue Projektmagazin unter der Überschrift „Suchet der Stadt Bestes,“ zeigt das Kommunikationsbüro allerdings deutlich, wie es arbeitet. Dieses Vorgehen von Vertuschung und Verschleierung beobachten und rügen wir Gegner seit langer Zeit.
Klar ist, dass Herr Rommel damals seine Aussagen auf die Informationen der ihn umgebenden „Fachleute aller Art“ abgestützt hat, ja abstützen musste, da er selbst kein Fachmann auf diesem Gebiet war. Dies steht auch handschriftlich in einem Antwortbrief, den Herr Rommel mir am 31.8.2010 geschrieben hat. Kurz zuvor war nämlich zu jener Zeit ein Brief von Herrn Rommel in der Zeitung abgedruckt worden, in dem er sich, vermutlich wieder auf Wunsch der Befürworter, nochmals an uns Stuttgarterinnen und Stuttgarter in Sachen Stuttgart 21 wandte. Auf diesen Brief hin habe ich ihm am 25.8.2010 folgenden Brief geschrieben:
Lieber Herr Rommel,
hätten Sie Ihren Brief an uns Stuttgarterinnen und Stuttgarter auch so verfasst, wenn Sie nunmehr mir zu lieb mal Folgendes als zutreffend annehmen:
• In der Geschwindigkeit der Verkehrsabwicklung würden sich heute durch die Wendezugtechnik die Kopfbahnhöfe und Durchgangsbahnhöfe praktisch nicht mehr unterscheiden. Wenn es also so wäre, dass Hochgeschwindigkeitszüge nicht „bemerken“ würden, ob sie in Stuttgarter den Kopfbahnhof oder den Durchgangsbahnhof anfahren und die benötigte Zeit im Bereich von Stuttgart 21 in beiden Fällen die gleiche wäre. Wenn gar schon jetzt der Beweis dafür da wäre, dass solche Züge ohne Probleme den Kopfbahnhof anfahren.
• Wenn der neue Durchgangsbahnhof geringere Verkehrsleistung hätte als der Kopfbahnhof (wobei insbesondere auch die Knotenleistung des Bahnhofes für den Integralen Taktverkehr berücksichtigt würde, der auch dem Nahverkehr Rechnung trägt).
• Wenn die Bürger damit Recht hätten, dass ihnen der Kopfbahnhof viel mehr Bequemlichkeit bieten würde als der Tiefbahnhof z.B. der ebenerdige Zugang vom Nordeingang zu den 16 breiten Bahnsteigen und das niveaugleiche Wechseln von einem Bahnsteig zum anderen.
• Wenn das weniger leistungsfähige Verkehrskonzept die Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarkt nicht günstig beeinflussen würde.
• Wenn die Wirtschaftlichkeitsberechnung mit den aktuellen Daten von Verkehrsaufkommen und Kosten die Einstufung des Projektes S 21in den Vordringlichen Bedarf (VB) nicht rechtfertigen könnte.
• Wenn es stimmen würde, dass Projekte, bei denen nur viel Geld ausgegeben wird, die aber kaum tatsächlichen Nutzen aufweisen können, die Wirtschaftskraft in Deutschland nicht steigern sondern unterhöhlen.
• Wenn z.B. das Güterzugprojekt am Oberrhein (auch Baden –Württemberg) bei der raschen Verwirklichung entscheidend mithelfen würde, Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen.
• Wenn es so wäre, dass in Deutschland die Wirtschaftskraft gesteigert wird, wenn unser Geld zuerst für die effektivsten Projekte ausgegeben wird.
• Wenn der Blick nach vorne in der Verkehrspolitik, der die besten Lösungen für Deutschland sucht, anderen Lösungen den Vorzug geben würde, als jenen Lösungen, die nur ein einzelnes Bundesland anstrebt.
• Wenn sich in Deutschland, jene Personen, die sich die Augen reiben, jene wären, die Stuttgart 21 nicht nur für ein altes sondern für ein veraltetes Projekt halten.
Was würden Sie dann geschrieben haben? Ich kenne Sie als einen salomonischen Menschen. Auch zitiere ich gerne Sprüche von Ihnen, z.B. „Ist der Weg auch falsch und steinig, Hauptsache wir sind uns einig. „Salomon hatte es oft auch schwer, die Wahrheit herauszufinden. Sie erinnern sich sicher an die Geschichte mit den beiden Frauen (Huren) die um den Säugling stritten. Salomon hat damals zuerst einmal „BEIDE“ Frauen angehört. Erst dann ließ er das Schwert holen.(1.Kön. 3,16-28). Mit freundlichem Gruß, Manfred Fischer
Herr Rommel hat mir mit Datum vom 31.8.2010 handschriftlich folgendes geantwortet:
Sehr geehrter Herr Fischer,
vielen Dank für Ihren Brief vom 25.8.2010. Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich wohl anders entschieden. Aber es war eben nicht anders. Verehrter Herr Fischer, ich bin kein Bahnbeamter, kein Ingenieur, kein Geologe. Beraten von Fachleuten aller Kategorien versuche ich eine Meinung zu vertreten, die einigermaßen plausibel ist. Im konkreten Fall ist das umso mehr geboten, als es sich im Kern um eine Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums und der Bahn handelt.
Lasset uns beten, dass wir immer das Richtige tun.
Ihr Manfred Rommel
Heute weiß jeder, der sich mit dem Projekt Stuttgart 21 hinreichend beschäftigt hat, dass Herrn Rommels Schlussfolgerungen zur Tauglichkeit von Stuttgart 21 in dem Interview vom Jahr 2008 auf Grundlagen beruhen, die heute so nicht mehr stimmen. Jeder Mensch ist aber in seinen Entscheidungen von den Informationen abhängig, die er sich vielleicht erarbeiten kann, oder die er bekommen kann oder eben auch nicht bekommt. Je nachdem ergibt sich daraus die eine oder die andere Meinung. Stuttgart 21 ist ein komplexes Projekt. Der Laie ist dabei auf stimmige Aussagen der Fachleute angewiesen. Er kann leicht durch Steuerung oder das Vorenthalten von Informationen zu dieser oder jener Meinung gelangen oder manipuliert werden. Damit sage ich nichts Neues.
Wichtiger denn je ist es, heute der Frage nach zu gehen, „Wie kam es beim Projekt Stuttgart 21 zu dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zuerst wurde behauptet, Stuttgart 21 wäre das am besten geplante Projekt und der Tiefbahnhof hätte doppelte Leistung. Heute wissen wir, dass das Projekt besonders schlecht geplant ist, dass der Kopfbahnhof größere Leistung hat als der Tiefbahnhof, der sich für den modernen Taktfahrplan nicht eignet. Und laufend stellen sich noch neue Schwachpunkte heraus. Aber auch bei den Kosten klafft eine immer größer werdende Lücke zwischen den Anfangsversprechungen und den wirklichen Kosten. Auch bei anderen Bauprojekten in Deutschland und Europa ist dies zu beobachten. Nach meiner Überzeugung liegt es nicht an der Größe der Projekte sondern bei den maßgebenden Personen. Im Beispiel von Stuttgart 21 sind es Personen von der Bahn, der Politik, Wirtschaft und der Technik (Ingenieurbau). Hier ist im Laufe der letzten Dezenien wahrlich eine Wende vollzogen worden. Zug um Zug wurden alte Tugenden verlassen: Ehrlichkeit, Gründlichkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit, die Verpflichtung gegenüber dem Grundgesetz und gegenüber vorbildlichen Maßstäben in der Technik. Weil ich hier, vielleicht für manchen überraschend, auch die Technik benannt habe, möchte ich dazu noch etwas sagen. Es geht nicht darum, dass wir keine hoch entwickelte Bautechnik in Deutschland hätten. Was mich aber schon lange wundert, ist, dass von den offiziellen Gremien der Bautechnikseite zu den vielen Schwächen von Stuttgart 21 keine Einwendungen, Warnungen und Gegenvorschläge formuliert wurden. Das liegt vielleicht zum Einen daran, dass von der Bauherrenseite keine Expertisen erwünscht waren, da man sich ja seine Gutachter einseitig ausgewählt hat. Andererseits hat aber die Technikseite lieber geschwiegen, vermutlich um sich Aufträge nicht entgehen zu lassen. So braucht man sich aber heute auf Seiten der Bautechnik nicht zu wundern, wenn bei all den vielen Baupannen in Deutschland schließlich auch das Fragezeichen im Raum steht, ob denn die Bautechnik hier überhaupt noch „up to date“ ist. Wer sich aber nicht einmischt, trägt zu diesen Fragezeichen bei und hilft andererseits nicht mit, die Weichen für eine gute Zukunft der Gesellschaft zu stellen.
Mit freundlichem Gruß
Manfred Fischer